Grenzüberschreitung - Kurzgeschichte

Grenzüberschreitung - Kurzgeschichte

Susanna saß in ihrem winzigen Büro und fror. Ihre Füße waren eiskalt. Auch der heiße Roibustee in der dicken Porzellantasse, um die sie ihre geppflegten Hände gelegt hatte, brachte kaum Wärme in ihren Körper. Ihr Blick hing erwartungsvoll am Bildschirm. Da kam sie wieder: Fehlermeldung. Es half nichts, der Algorithmus war richtig. Aber das Programm hatte sich aufgehängt. Sie griff zum Telefon. 1715 - die Techniker mussten ran. Wie sie befürchtet hatte, war es Bruno der antwortete.

"Ja, ich bin sofort da."

Seine tiefe, langsame Stimme strafte seine Worte Lügen. Bis er sich aus seinem Büro gewälzt hatte, würden Ewigkeiten vergangen sein. Sie stand auf und behielt die Teetasse in der Hand. Im Kopf ging sie ihre Argumentation noch einmal durch. Dabei ging sie unruhig auf und ab. Heute Abend war Probe mit dem Streicherensemble. Sie musste das Cello noch zu Hause abholen. Und es war schon wieder halb sieben. Sie hasste diesen Kampf mit der Materie. Sie wollte einen neuen Rechner! Sie brauchte einen, der weniger Widerstand leistete.

Wider erwarten kam Bruno tatsächlich recht schnell. Er roch nach Knoblauch und Rauch. Er trug einen schwarzen Strickpullover. Denn trug er immer. Er hatte hinten eine Laufmasche. Schon immer.

"Zeig mal", sagte er.

Dazu musste sie sich wieder setzen. Ihre Hand lag auf der Maus. Sie zeigte ihm ihr Programm. Stieß es an. Bruno hatte sich den zweiten Stuhl ganz nah neben ihren geschoben. Es gab kein Entrinnen, wenn sie beide auf den Bildschirm sehen wollten. Sie wartete auf die Fehlermeldung. Da geschah es. Er legte seine Hand auf ihre, die auf der Maus lag. Sie war warm und weich. Und was der Tee während des ganzen Tages nicht geschafft hatte, das geschah nun wie von selbst: Eine angenehme Wärme stieg durch ihre Hand, durch ihren Arm bis in den Brustkorb. Weitete, öffnete. Einen Riss bekam die Schale, die sie geschützt hatte vor der Welt, und ein zarter Sonnenstrahl brachte Wärme und Licht. Während sie noch überlegte, ob sie schreien sollte oder ihn anbrüllen, führte er ihre Hand ganz sanft und schaltete den Trace-Modus ein.

"Da können wir genau sehen, wo er aussteigt,", sagte er sanft, als sei es selbstverständlich sie zu berühren.


Einen winzigen Augenblick kamen ihr Zweifel, ob er überhaupt wusste, was er da tat. Als sein Daumen, der auf ihrem lag, sich zu bewegen begann und den ihren streichelte. Jetzt wurde ihr heiß. Heiß wurde ihr, nachem sie seit acht Stunden gefroren hatte, Er war so fleischlich! Aber ihre Hand versuchte sich von unten an seine zu schmiegen. Ihr Körper bewegte sich in seine Richtung, während ihre Augen den Zahlenreihen auf dem Bildschim folgten, ohne zu verstehen, was da geschah.

"Hier", sagte er "muss ein Tippfehler sein."

"Endlosschleife", sagte er.

"Da muss eine andere Variable rein."

Als sei sie eine blutige Anfängerin! Völlig unerklärlich, wie ihr das passieren konnte. Am Ende dachte er noch sie habe nur einen Vorwand gesucht ...

"Schostakowitsch", versuchte sie zu denken, um wieder Boden unter den Füßen zu finden.

Es war nur eine leere Lautfolge.

"Wir spielen heute Abend Schostakowitsch", sagte sie zu sich selbst.

Sie spürte die Wärme seines Körpers an ihrer Haut, obwohl sicher noch zwei Zentimeter Abstand war zwischen ihm und ihr.

Sie sagte

"Danke." 

Es bereitete ihr Mühe, gefasst zu klingen. Sie entzog ihm die Hand, stand auf und blickte aus dem Fenster. Sie hatte das Gefühl, ihre Wangen seien knallrot geworden, so heiß fühlten sie sich an.

"Wollen wir ein Glas Wein trinken heute Abend?", fragte Bruno.

Sanft und warm war seine Stimme. Er war schüchtern, das wusste sie. Sie sagte nichts.

"Ich warte auf dich - im Weinkontor. Ab acht, ja?"

Sie rührte sich nicht.

Er stand auf. Sie hörte seine Schritte, er ging zur Tür.

"Ich warte auf jeden Fall", sagte er.

Dann war er weg.

"Schostakowitsch", sagte sie jetzt laut.

Am Wochenende war die Aufführung. Sie schüttelte den Kopf. Vielleicht war alles nur ein Traum. Roland würde sie zur Probe fahren heute Abend. Roland war ehrlich und treu. Nie würde er sie berühren ohne vorher zu fragen. Und fragen tat er auch nicht mehr, denn er wusste, dass sie das nicht mochte.  "Wir heben uns das für nach der Hochzeit auf", hatte sie gesagt. Was sollte sie Roland sagen, der sie liebte, ohne etwas von ihr zu verlangen? Der einfach immer bei ihr blieb und sie anschmachtete ohne ihren Körper zu fordern? 

Sie griff nach dem Telefonhörer.

"Roland, Liebling", hörte sie sich sagen.

Es musste eine fremde Frau in ihr sein, die eben die Herrschaft übernommen hatte.

"Roland, ich kann heute nicht zur Probe kommen, ich muss diesen Vortrag noch fertig schreiben. Mein Rechner ist gerade abgestürzt."

"Ich weiß - sowas ist noch nicht vorgekommen, aber eben deshalb muss es mal gehen. Geh einfach ohne mich. Wir sehen uns später. -

Ja, Liebes, es geht mir gut. Bis dann."

Schnell legte sie auf. Wie billig das war! Betrug, Untreue, Lügen - alles, was sie aufs Tiefste verabscheute. Und sie wusste nicht einmal, warum. Es war doch völlig klar, dass sie einen wie Bruno nie lieben könnte.

Während sie erneut den Kopf schüttelte, fühlte sie, dass der Knoten, zu dem sie ihr langes Haar hochgesteckt hatte, sich lockerte. sie zog die Haarnadeln heraus. Bis zur Taille ergoss sich ein Schwung von weichem, seidigem Haar. Ein angenehmer, leichter Schmerz war in den Haarwurzeln zu spüren. Sie schüttelte ihren Kopf wieder, aber jetzt lächelte sie.

Bruno würde schon sehen wie lächerlich es war, wenn er ihr den Hof machte. Es würde keine Folgen haben. Morgen wäre alles vorbei.

Davor aber war noch dieser Abend. Nun gut. Hatte sie wirklich Zeit, diesen Aufsatz in Ruhe fertig zu machen. Dann würde sie mit Bruno ein Glas Wein trinken und eine Kleinigkeit essen. Dabei würde sie eben erwähnen, dass sie verlobt war, würde von ihrem Elternhaus erzählen - und so. Nicht dass sie sich etwas darauf einbildete. Aber es würde ihm vielleicht klar machen, dass sie aus verschiedenen Welten kamen und sie würde hoffentlich nicht sagen müssen, dass sie einfach nichts weiter mit ihm zu tun haben wollte.

Bester Laune erschien sie kurz vor acht im Weinkontor. Bruno saß an einem Zweiertisch in einer Ecke. Er hatte sie gleich gesehen, als sie herein kam, war aufgestanden und ihr entgegen gekommen. Er hatte ihr aus dem Mantel geholfen. Dabei war er ihrem offenen Haar sehr nahe gekommen. Oder hatte sie sich das nur eingebildet - dass er daran roch und für einen Moment die Augen schloss?

Nun saßen sie also einander gegenüber und während sie die Karte studierte, fühlte sie seine Blicke auf ihrem Gesicht. Zärtlich. Zart. Es fühlte sich gut an. Irgendwie richtig. Und sie konnte es selbst nicht glauben. Sie lächelte schüchtern zurück. Als habe er sie dabei ertappt, wie sie sich in seinem Blick sonnte. Nie hatte sie ein Gefühl für ihr Aussehen gehabt - und jetzt fühlte sie sich schön. Und ihre Wangen wollten das Kratzen seiner Bartstoppeln spüren, ihre Ohren wollten seinen Atem fühlen und hören. Ihr Hinterkopf sehnte sich danach in seiner Hand zu ruhen. Es war verwirrend plötzlich einen Körper zu spüren. Und dann auch noch einen, der ein Eigenleben zu entwicklen schien!

Wärhend sie immer noch ihrem Plan nachhing, ihn von der Unmöglichkeit seiner Wünsche zu überzeugen - Moment mal - woher wusste sie eigentlich von seinen Wünschen? Er hatte nichts gesagt. Vielleicht war doch alles nur Einbildung? Sie bestellten einen Rioja und einen Vorspeisenteller für zwei.

Während sie noch nach Worten suchte, mit denen sie Bruno klarmachen könnte, dass sie nicht vorhatte, sich noch weiter mit ihm zu treffen, spürte sie, dass der Vorspeisenteller ein Fehler gewesen sein könnte.

"Nett hier", sagte sie.

Und registrierte, dass seine Augen grün waren - und dass sein Blick allein ihr Herz zum Klopfen brachte. Aber das verstärkte nur ihre Überzeugung, dass sie hier ganz schnell raus musste. Sie schwiegen. Susanna lobte den Wein.

Dann wurde ein großer Teller voller Fingerfood gebracht. Und sie spürte plötzlich Hunger und einen riesigen Appetit. Eine Dattel. Auf Ziegenkäse. Mit Schinken umwickelt! Sie griff zu. Seine Blicke hingen an ihren Lippen. Die sich öffneten und die schmale Dattel empfingen. Das ganze Stück allerdings war zu groß. Sie musste abbeißen. Vorsichtig, es war klar, dass es für Bruno fast zärtlich aussehen musste, berührten ihre Zähne den Schinken. Versuchten langsam und ohne den Käse an den Seiten herauszuquetschen, die Dattel zu zerteilen. Das konnte nicht gelingen. Der Käse quoll an beiden Seiten heraus. Und ihm blieb nichts übrig als sich an ihre Lippen zu heften. Und Susanna? Anstatt zur Serviette zu greifen, fuhr mit der Zunge an ihren Lippen entlang. Ganz langsam, während Bruno jeder Bewegung folgte. Ein Lächeln spielte um seine Lippen. Schalk saß ihm plötzlich in den grünen, warmen Augen. Und sie merkte, dass ihm gefiel, was er sah. Da fuhr sie mit der Spitze der Zunge über die übrig gebliebene Dattelhälfte und leckte den Käse einfach ab. Ohne den Blick von ihm zu lassen. Von seinen Lippen. Die sich leicht geöffnet hatten und von seiner Zunge in sinnlicher Langsamkeit befeuchtet wurden. Er führte eine Dattel, ebenso mit Käse und Schinken bepackt wie ihre, an die erwartungsvollen Lippen und bewegte nur seine Zunge um die Spitze der Dattel herum. Seine Augen hatten ihre Freude daran zu sehen, wie ihre Brust sich schneller hob und senkte. Ihre Wangen sich röteten.

Susanna hatte alle ernsten Vorsätze vergessen. Dieses Spiel war so aufregend, ihre Wangen glühten. Sie hatte gedacht, ihr Körper bliebe für immer kalt - und jetzt das.

Auch sie konnte nun nicht mehr von ihm lassen. Als sie das Glas an die Lippen führte, liebkoste sie seinen kühlen, wohldefinierten und festen Rand. Der Rotwein, so schien es, hielt sich nicht an die vorgeschriebene Bahn und verteilte sich auf der Stelle in ihrem ganzen Körper, suchte sich einen Weg bis in die Fingerspitzen und drang dann über den Magen hinaus in die Tiefen ihres Unterleibs vor, wo er Wärme, Weite und Öffnung hinterließ.

Dabei musste sie mitansehen, wie Bruno die Datteln von ihrem warmen Mantel befreite, um dann nur die Spitze vorsichtig zwischen die Lippen zu nehmen und anzuknabbern.

Auch Susanna griff nun nach einer Dattel und machte alles nach, was Bruno ihr - der Dattel - antat. Zärtlich streifte sie die Schinkenhülle ab, Ließ sie langsam zwischen ihren Lippen verschwinden. Da nahm Bruno die länglich, glänzende Frucht zwischen die Finger und fütterte Susanna damit. Dabei flüsterte er ihren Namen, jeden Laut genießend:

"Suuusssaaaannnahhh!"

Das mit dem Füttern musste schief gehen. Sie nahm die Dattel mit den Zähnen aus seiner Hand, nahm sie dann selbst mit den Fingern, sah sie prüfend an und musste plötzlich lachen! Laut und herzhaft, die ganze Anspannung entlud sich in Lachen - und Freude - und Leichtigkeit. Und Bruno lachte mit. Sie - Susanna, die Wohlerzogenheit und Beherrschtheit in Person - ließ den Dattelkern aus ihrem Mund mit einem leisen Klong auf ihren Teller fallen! Und freute sich wie ein Kind über diese Grenzüberschreitung. Wie sollte dieser Abend enden?  Er fing jedenfalls gut an!



1 Kommentar

  • Zu viele Fehler im Text! Das sollte bei echten Schreibern nicht passieren. Schade.

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