Fugensymphonie

Fugensymphonie

von Meike Möhle

Als ich begann, meine Nachmittage im Badezimmer zu verbringen, hatte ich nicht vor, mich dort einzurichten. Im Gegenteil, ich hatte eine Aufgabe, die ich schnellstmöglich zu erledigen gedachte: Das Nachweißeln der Fugen.

Ich bin nicht besonders pingelig, was mein Wohnambiente angeht, doch diese schwarz-schimmeligen Zwischenräume der Fliesen fand ich fürchterlich. Ich kaufte also ein Schimmelmittel, entfernte damit alles Schwarze und begann dann, mit einem feinen Pinsel und weißer Fugenfarbe die Linien zwischen den Kacheln nachzumalen. Und – was soll ich sagen? Es sah schlimm aus. Ich habe keine ruhige Hand und malte bei wirklich jeder Fuge über den Rand. „Wie eine Schildkröte mit Tatter“, beurteilte mein Sohn meine Handwerkliche Performance. Ich fuhr also wieder in den Baumarkt, kaufte was zum Entfernen der übergeklecksten Farbe und Kreppband zum Abkleben.

Nächster Versuch: Haben Sie schon einmal versucht, alle Fliesen in einem Badezimmer abzukleben? Fuge rechts und links, oben und unten. Und jede Fuge grenzt an zwei Fliesen. Bald war mehr Klebeband als Fliese in meinem Bad. Damit konnte ich leben, wohnte ich doch schon seit Jahren allein und nutzte folglich auch als einziger dieses Bad. Aber was ich mache, mache ich halt richtig. Und Zeit hatte ich auch.

Ich klebte also alle 945 Fliesen meines Badezimmers sorgfältig ab. Das Kreppband drückte ich tüchtig fest. Nicht, dass dort Farbe hindurch schlüpfen würde. Zwei Mal musste ich in den Baumarkt und neues Klebeband holen. Beim letzten Mal nahm ich gleich einen ganzen Karton – Schluss mit dem Gerenne.

Und doch musste ich schon zwei Tagen später wieder in den Baumarkt. Ich hatte nämlich vor lauter Verdruss über meine unzulängliche Handwerkerleistung vergessen, den Farbtopf zu verschließen, sodass Farbe und Pinsel zu einem unauflöslichen Brocken zusammengetrocknet waren. Bei diesem Trip in den Baumarkt besorgte ich nicht nur zehn Dosen Farbe und zwölf Pinsel, sondern auch einen Plexiglaswürfel, in den ich den Pinsel mitsamt dem angetrockneten Farbklotz einmontierte. Ich ließ ein Metallplättchen gravieren, dass ich vorne an den Würfel klebte. „Bekenntnis eines Unzulänglichen“ stand darauf und ich schenkte das Kunstwerk meiner Ex-Frau zum Geburtstag.

Dann begann ich endlich wieder zu malern. Und tatsächlich, dieses Mal ging es. Saubere weiße Linien entstanden zwischen den grauen und naturweißen Fliesen. Als ich das Kreppband abzog, war ich unglaublich stolz. Und auch ein wenig ernüchtert. Denn das saubere weiß war sehr nüchtern.

Während ich die Fliesen ein zweites Mal abklebte, überlegte ich mir ein Farbkonzept für die Fugen. Heiter sollte es werden, aber nicht primitiv. Elegant, aber ohne traurig zu wirken. Und um den Spiegel herum mit etwas Glanz.

Die Fugen meines Badezimmers geben mir eine wunderbare Bühne für die Entfaltung meiner Kreativität. Farbharmonien, Zwischenraum-Symphonien und saisonale Konzepte lassen geben mir ständig zu tun.

Mein Wohnzimmer habe ich inzwischen untervermietet, ich brauche es nicht mehr, In die Küche gehe ich selten und im Schlafzimmer lagere ich meine Materialien. Meine Matratze liegt im Bad neben der Dusche. Endlich hat mein Leben einen Sinn bekommen. 


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Der erste Satz stammt von Philippe Toussaint. Der verfasste 1985 den Roman „Das Badezimmer“, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte. 

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